10. Oktober 2022

Vorabentscheidungsverfahren: Tiroler Wölfe beschäftigen nun den EuGH

ÖKOBÜRO - Allianz der Umweltbewegung

Im Zusammenhang mit einer Bescheidbeschwerde betreffend die Entnahme des Wolfes 158 MATK hat das Tiroler Landesverwaltungsgericht dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) mehrere Fragen zur Rechtsauslegung der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie) vorgelegt. Im September hat die Tiroler Landesregierung überdies vier weitere Wölfe jeweils per Bescheid zum Abschuss freigegeben. Aufgrund der Beschwerden von ÖKOBÜRO und WWF dürfen aber auch diese Wölfe vorerst nicht getötet werden.  

Einleitung des Vorabentscheidungsverfahrens

Bereits am 22. August 2022 hat das Landesverwaltungsgericht Tirol den Beschwerden von ÖKOBÜRO, WWF Österreich, Umweltdachverband und Naturschutzbund Österreich gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 29. Juli zur Entnahme des Wolfes 158 MATK insofern stattgegeben, als es den Beschwerden die aufschiebende Wirkung zuerkannt und damit jeden weiteren Versuch seines Abschusses vorerst gestoppt hat. Die Jagdausübungsberechtigten wurden umgehend per SMS darüber informiert, dass der angefochtene Bescheid vorerst nicht rechtswirksam ist. Gleichzeitig hat das Verwaltungsgericht angekündigt in der Sache selbst den EuGH anzurufen und diesem eine Reihe von Fragen zur Auslegung der FFH-Richtlinie vorzulegen. Mit Beschluss vom 21. September 2022 hat es nun das laufende Beschwerdeverfahren betreffend die Entnahme des Wolfes mit der Bezeichnung 158 MATK bis zum Abschluss des Vorabentscheidungsverfahrens ausgesetzt.

Bei den Fragen, die das Landesverwaltungsgericht dem EuGH vorgelegt hat, geht es zum einen um den Gleichheitsgrundsatz: So sind Wölfe in wenigen europäischen Ländern, wie etwa den baltischen Staaten, vom strengen Schutzregime der FFH-Richtlinie ausgenommen während für Österreich bzw. die österreichische Almwirtschaft keine solche Ausnahme vorgesehen ist. Weiters möchte das Verwaltungsgericht vom EuGH wissen, ob der günstige Erhaltungszustand von Wölfen – der für die Abschüsse der streng geschützten Art Wolf laut Unionsrecht eine Voraussetzung ist – auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats zu beziehen ist, oder ob es für die Entnahmeentscheidungen ausreicht, wenn der günstige Erhaltungszustand im natürlichen Verbreitungsgebiet einer Population gegeben ist. Diese Betrachtung würde die Einbeziehung von Wölfen in den österreichischen Nachbarstaaten erlauben, wo deutlich mehr Wolfsindividuen und Rudel leben als in Österreich. Eine weitere Frage betrifft die Definition des „ernsten drohenden Schadens“ – insbesondere im Hinblick darauf, dass einige betroffene Almen laut Tiroler Landesregierung angeblich nicht schützbar sind.

Die Beantwortung dieser Fragen durch den EuGH wird wohl noch einige Monate dauern, erst danach ist eine inhaltliche Entscheidung durch das nationale Gericht zu erwarten.

Anerkennung der aufschiebenden Wirkung in zwei weiteren Entnahmeverfahren

Zudem wurden von der Tiroler Landesregierung am 8. September 2022 zwei weitere adulte Wölfe mit der Bezeichnung 151 MATK und 165 MATK sowie zwei beliebig auszuwählende Jungwölfe aus dem Hochstadel-Wolfsrudel, jeweils befristet bis zum 30. September, zum Abschuss freigegeben. Bei den beiden letzteren handelt es sich um Jungtiere des Wolfspärchens 108 MATK und 121 FATK, die bereits im Sommer entnommen werden sollten. Auch gegen diesen Entnahmebescheid haben ÖKOBÜRO, WWF Österreich, Umweltdachverband und Naturschutzbund Österreich aber erfolgreich Beschwerde einlegt.

Mit den zuletzt erhobenen Beschwerden gegen die beiden Entnahmebescheide vom September 2022 haben WWF Österreich und ÖKOBÜRO nun ebenfalls erreicht, dass die vier Wölfe vorläufig – solange das Beschwerdeverfahren läuft – nicht entnommen werden dürfen. Bis zum Abschluss des Vorabentscheidungsverfahrens in der oben genannten Sache hat das Landesverwaltungsgericht Tirol aber auch diese beiden Beschwerdeverfahren ausgesetzt.

In beiden Fällen stützte das Landesverwaltungsgericht Tirol seine Entscheidung darauf, dass die belangte Behörde nicht garantieren könne, dass ausschließlich die schadensverursachenden Wolfsindividuen und nicht irrtümlich ein anderer Wolf erlegt werde. Tatsächlich stellte das Gericht fest, dass die Gefahr eines Fehlabschusses – und damit die Gefahr eines Eingriffes in den sehr hohen Schutzstatus des Wolfes gemäß der FFH-Richtlinie – durch das mögliche Abwandern der gegenständlichen Wölfe und die mögliche Anwesenheit eines anderen, nicht-territorialen und transitierenden Wolfes oder Rudels im Maßnahmengebiet höher sei als weitere Schäden an den dort befindlichen Nutztieren (Schafen) im freien Weidegang.

Damit sind diese beiden Entnahmebescheide betreffend die vier Wölfe nicht mehr vollstreckbar. Da es sich bei dem Hochstadel-Wolfsrudel um die erste gesicherte Wolfspopulation im österreichischen Alpenraum handelt, ist die Anerkennung der aufschiebenden Wirkung durch das Gericht ein großer Erfolg für den Artenschutz!


Umweltrecht & Agenda 2030:

Der Schutz, die Wiederherstellung und insbesondere die nachhaltige Nutzung von Landökosystemen ist als hohes Schutzgut der Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen (SDGs - Sustainable Development Goals") sowohl in der Gesetzgebung als auch im Vollzug zu beachten. Der Wolf ist als Schlüsselart ein wesentlicher Bestandteil des Ökosystems, dämmt den übermäßigen Wildbestand ein, entnimmt alte und kranke Tiere und verhindert Waldschäden. Solche (bedrohte) Arten zu schützen ist ein wesentlicher Bestandteil der SDGs, zu deren Einhaltung sich auch Österreich verpflichtet hat.


Lisa Schranz ist Umweltjuristin bei ÖKOBÜRO. Sie ist insbesondere im Bereich des österreichischen Natur- und Artenschutzrechts tätig, beschäftigt sich aber auch mit dem Umweltschutz auf europäischer Ebene.

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