29. Juni 2023 | News, Nachlese

Which Climate Rights Does Our Law Offer?

Die Veranstaltung „Which Climate Rights Does Our Law Offer? Approaches to Improve Climate Policy and Rights in Central Eastern Europe through Strategic Litigation“ fand am 13. Juni online statt. Expertinnen auf dem Gebiet der Klimaklagen stellten rezente Fälle aus der Praxis vor und standen im Anschluss zur Diskussion zur Verfügung. Das Event fand in Kooperation mit dem Europäischen Netzwerk Justice and Environment statt und wurde durch Mittel der Europäischen Union finanziert. Die Veranstaltung ist Teil des Projekts DACE – Discussions and Actions on Climate and Environment, welches die Erhöhung des Bewusstseins für Klimarechte in der Bevölkerung zum Ziel hat. 

Einleitung

Mag. Thomas Alge, Geschäftsführer von ÖKOBÜRO, eröffnete die Veranstaltung. In einem persönlichen Rückblick auf die Jahre seit 1990 sprach er über rechtliche Entwicklungen zur Eindämmung der Klimakrise. Obwohl die Auswirkungen der Klimakrise bereits heute spürbar sind und in Zukunft katastrophal sein könnten, schöpfte er Hoffnung aus rechtlichen Instrumenten wie der Aarhus Konvention und Klimaklagen.  

„For all those reasons, I am happy and motivated that OEKOBUERO and Justice and Environment can offer an update on recent developments on climate rights in today’s event and discuss options and conclusions for future steps in order to enhance our fight to save our climate, to safe this worlds biodiversity and the future of our children, health and wellbeing.”

Einführung in das Thema Klimarechte

Veronika Marhold, LL.M. (WU), Umweltjuristin bei ÖKOBÜRO, schloss mit einer Einführung in das Thema Klimarechte an. Klimarechte definierten die am Projekt teilnehmenden Organisationen als jene rechtlichen Mechanismen, mit denen Individuen vom Staat bestimmte Klimaschutz oder -anpassungsmaßnahmen einfordern können. Diese Definition war bewusst weit gewählt und geht über klassische Grund- und Menschenrechte hinaus. Im Vorfeld der Veranstaltung wurde von ÖKOBÜRO eine repräsentative Umfrage unter 500 in Österreich ansässigen Personen zum Thema Klimarechte durchgeführt. Im Rahmen dieser Umfrage wurde unter anderem erhoben, ob sich Personen sich und ihre Rechte durch die Klimakrise bedroht sahen und sie bereit wären, diese Rechte bei den Behörden bzw Gerichte durchzusetzen. Obwohl bei 49% eine Bereitschaft bestand, dies zu tun, war nur 4% der befragten Personen bekannt, an welche Stellen sie sich dafür wenden können. Beachtenswert war ebenso, dass besonders junge Personen im Alter von 16-29 sich durch die Klimakrise bedroht sahen und zur Durchsetzung entsprechender Rechte bereit waren. Ähnlich verhielt es sich mit Personen, die zumindest über einen Gymnasialabschluss verfügen. Im Anschluss daran wurden die wichtigsten Normenkategorien, die als „Klimarechte“ geltend gemacht werden, vorgestellt. Darunter zB Grund- und Menschenrechte, soziale Rechte im Rahmen Just Transition, Rechte auf nationale Umsetzung und Durchsetzung internationaler Klimaziele, Ansprüche, die sich aus zivilrechtlichen Klagen gegen Unternehmen ergeben, Rechte auf Klimawandelanpassung sowie Verfahrensrechte der Zivilgesellschaft. 

Glauben Sie, dass Ihre Grund- bzw. Menschenrechte (z.B. Recht auf Leben in Freiheit/Sicherheit, Recht auf Gesundheit, Recht auf Wasser und Sanitäre Anlagen, Recht auf Nahrung, Recht auf Lebensgrundlagen, etc.) von den Auswirkungen der Klimakrise betroffen sind?

Zum Umfragebericht

Österreichische Klimaklagen

Mag.a Michaela Krömer ist Anwältin und Gründerin der NGO CLAW – Initiative für Klimarecht sowie Trägerin des Menschenrechtspreises der Österreichischen Liga für Menschenrechte. In ihrem Vortrag stellte sie zunächst die erste österreichische „Klimaklage“ vor, die 2020 in Form eines Individualantrags an den VfGH gerichtet wurde. Sie richtete sich gegen die steuerliche Bevorteilung von Kerosin und grenzüberschreitenden Flugreisen gegenüber Zugreisen. Diese führe dazu, dass Verbraucher*innen, die mit klimafreundlich mit dem Zug reisen, finanziell benachteiligt würden, da sie die von Bahnunternehmen übergewälzte Steuerlast zu tragen hätten. Zudem habe es der Gesetzgeber angesichts der steuerlichen Bevorzugung von klimaschädlichen Transportmitteln verabsäumt, seinen Schutzpflichten nach Art 2 EMRK (Recht auf Leben) und Art 8 EMRK (Recht auf Privat- und Familienleben) Rechnung zu tragen. Der VfGH wies den Antrag jedoch zurück – die Antragsteller:innen seien von den angefochtenen Regelungen nicht unmittelbar betroffen, und ein Formalkriterium des Antrags war demnach nicht erfüllt. Infolge der Zurückweisung durch den VfGH wandten sich Mag.a Krömer und einer der fünf Antragsteller*innen an den EGMR. Auf Basis von Art 8 (Recht auf Privat- und Familienleben) sowie Art 13 EMRK (Recht auf eine wirksame Beschwerde) brachten sie vor, dass in Österreich kein effektives Rechtsmittel zur Verfügung stehe, Untätigkeit beim Klimaschutz anzufechten. Eine Entscheidung des EGMR steht noch aus. Zuletzt berichtete Mag.a Krömer von der zweiten „Klimaklage“, einem zweiten Individualantrag an den VfGH. Zwölf Kinder und Jugendliche brachten vor, dass ihre Rechte nach dem BVG über die Rechte von Kindern durch das aktuelle Klimaschutzgesetz nicht gewahrt würden. Insbesondere dem Grundsatz der Generationengerechtigkeit würde nicht Rechnung getragen, da das Klimaschutzgesetz seit 2021 keine Emissionsgrenzwerte mehr enthalte. 

Tschechische Klimaklage

Mag.a Laura Otýpková, Ph.D. ist Leiterin des Responsible Energy Teams bei Frank Bold und stellte eine tschechische Klimaklage vor, an deren Erstellung sie selbst beteiligt war. Mit dem Antrag verlangte eine Vielzahl von Antragsteller:innen vom tschechischen Staat die Einhaltung von bestimmten Emissionsbudgets und verhältnismäßige Maßnahmen zum Schutz vor den Auswirkungen der Klimakrise. Der Anspruch auf Einhaltung des Emissionsbudgets basierte auf Grund- und Menschenrechten und dem Pariser Klimaübereinkommen einerseits und dem Pariser Klimaübereinkommen andererseits, der Anspruch auf Anpassungsmaßnahmen stützte sich zusätzlich auf den Klima- und energiepolitischen Rahmen der EU bis 2030. In erster Instanz wurde den Antragsteller:innen teilweise Recht gegeben. Das Gericht anerkannte eine menschenrechtliche, unionsrechtliche bzw völkerrechtliche Verpflichtung der Ministerien, Emissionen zu begrenzen und sah jene Verpflichtung als nicht erfüllt an, Emissionen bis 2030 um 55% im Vergleich zum Referenzjahr 1990 zu reduzieren. Auch in Hinblick auf Anpassungsmaßnahmen an die Auswirkungen der Klimakrise bejahte das Gericht eine Verpflichtung der Ministerien, diese zu treffen. Allerdings sei eine solche Verpflichtung bisher noch nicht verletzt worden. Schließlich verpflichtete das Gericht die Ministerien dazu, Schritte einzuleiten, um Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55% zu reduzieren. Die Entscheidung wurde jedoch teilweise vom Verwaltungsgerichtshof Tschechiens aufgehoben und zur neuerlichen Beurteilung an die erste Instanz zurückverwiesen. Auf einen Termin für eine Neuverhandlung wird derzeit gewartet. 

Estnische Klimaklage

Kertu Birgit Anton ist Aktivistin bei Fridays For Future Estland und juristische Mitarbeiterin des Estonian Environmental Law Center. Mit FFF Estland steht sie hinter der Klimaklage gegen den Genehmigungsbescheid einer estnischen Gemeinde, die den Bau einer Schieferölförderungsanlage bewilligt hatte. Nachdem die Beschwerde in den ersten beiden Instanzen abgewiesen wurde, ist sie nun beim Estnischen Höchstgericht anhängig. Von insgesamt vier Anträgen auf einstweiligen Rechtsschutz wurde nur einem im Mai 2021 stattgegeben. Der Bau der Anlage wurde während des Verfahrens fortgeführt und fast fertiggestellt. Die Beschwerdeführer:innen argumentierten, dass der Bau neuer Ölanlagen in Konflikt mit bestehenden Verpflichtungen zur Reduktion von Emissionen stehe, zB mit dem Pariser Klimaübereinkommen, den SDGs und unionsrechtlichen Verpflichtungen. Zwar stimme das Projekt mit überholten nationalen Strategien überein; das ändere aber nichts an bestehenden internationalen Verpflichtungen. Zudem hätten die Behörden im Rahmen des Genehmigungsverfahrens auch die Auswirkungen des Betriebs der Anlage auf die Umwelt zu bewerten. (Dem pflichteten die Gerichte bisher nicht bei.) Zudem wären Emissionen des Betriebs sowie Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, die menschliche Gesundheit sowie ein naheliegendes Natura-2000-Schutgebiet nicht ausreichend betrachtet worden.

Diskussion

Die anschließende Podiumsdiskussion fand unter reger Beteiligung des Publikums statt. Behandelt wurden unter anderem der Klimabeschluss des deutschen Bundesverfassungsgerichts, der Ausruf des „Klimanotstands“, sowie Maßnahmen zur Klimawandelanpassung.  

Diskutiert wurde ebenfalls, welche Probleme sich im Zusammenhang mit Klimaklagen häufig stellen. Die Expert:innen identifizierten die Beschwerdeberechtigung als zentrales Problem von Klimaklagen. Da die Beschwerdeberechtigung von Individuen häufig erfordert, dass die Beschwerdeführende von der angefochtenen Norm persönlich betroffen sind. Da sich Klimaschutzgesetze selten an Private, sondern an den Staat und seine Organe richten, ist die unmittelbare Betroffenheit Einzelner schwer zu argumentieren. Mag.a Michaela Krömer führte jedoch aus, dass die Antragsberechtigung Einzelner zu großen Teilen durch die Judikatur des Verfassungsgerichtshof geformt werde, die auch wieder geändert werden könne. Gerade die Änderung der ständigen Rechtsprechung der Höchstgerichte sei das Ziel von Klimaklagen.  

Ähnlich wurde von den Expert:innen auch die Frage beantwortet, welche Auswirkungen Klimaklagen über den einzelnen Fall hinaus gehend haben könnten. Kertu Birgit Anton argumentierte, dass es für die gesamte Estnische Ölindustrie problematisch sein könnte, wenn die Estnischen Klimaklage stattgegeben würde: in diesem Fall könnte ein „tipping point“ erreicht werden, mit der die Produktion von Schieferöl in Estland generell unrentabel werden könnte. Zudem fungiere der Prozess auch als „Warnsignal“ für ähnliche Vorhaben. Mag.a Michaela Krömer betonte zudem, dass selbst einzelne Verfahren in Summe große Veränderungen herbeiführen könnten. Auch die soziale Wirkung von Klimaklagen dürfe nicht unterschätzt werden. So könnten derartige Verfahren auch der betroffenen Gesellschaft Mut machen. Mag.a Laura Otýpková, Ph.D. betonte, dass jegliche Form von Initiative gut und notwendig sei, um das Fortschreiten der Klimakrise zu einzudämmen. Neben Aktivismus und der Arbeit von Umweltorganisationen seien auch menschenrechtliche Klimaklagen ein wichtiges Instrument im Kampf gegen die Klimakrise. 

Daten zur Veranstaltung

Insgesamt nahmen 139 Personen aus mindestens drei Staaten an der Veranstaltung teil. Zielgruppe war die Zivilgesellschaft mit rechtlichem Interesse, aber nicht unbedingt mit juristischer Ausbildung. Von den Teilnehmenden identifizierten sich 84 als weiblich, 51 als männlich und vier Personen gaben „divers“ als ihr Geschlecht an. 

Mehr Informationen über das DACE Projekt finden Sie hier: Discussions and Actions on Climate and Environment


Kontakt:

Veronika Marhold, LL.M. (WU)

ÖKOBÜRO – Allianz der Umweltbewegung

veronika.marhold@oekobuero.at