20. April 2023

ÖKOBÜRO und bankwatch fechten EU-Regeln für die Aufweichung von Naturschutz an

ÖKOBÜRO - Allianz der Umweltbewegung

Mit der EU-Notfallmaßnahmen-VO will die Europäische Union Vorhaben der Energiewende beschleunigen. Doch in der Praxis stellt sich der gewählte Weg als rechtswidrig und gefährlich für den Umweltschutz heraus. Daher haben ÖKOBÜRO und bankwatch ein Rechtsmittel dagegen erhoben.

Die EU-Notfallmaßnahmen-VO ist eine Reaktion auf die Energiekrise als Folge des Angriffs Russlands auf die Ukraine. In dem Rechtsakt des Rates werden bestimmte unionsrechtliche Schutzvorschriften außer Kraft gesetzt mit dem angegebenen Ziel, die Energiewende weiter zu beschleunigen. Auch wenn das Ziel durchaus begrüßenswert ist, zeigt sich das gewählte Mittel als mehrfach problematisch. Wie auch bereits in der Stellungnahme von ÖKOBÜRO zur Verordnung der EU festgehalten, gibt es mehrere wesentliche Kritikpunkte. Unterm Strich eignet sich die VO sogar, der Umwelt zu schaden, statt ihr zu helfen.
Konkret bedeutet das:

  1. Die gewählte Rechtsform ist nicht zulässig: Als VO des Rates wurde diese am EU-Parlament vorbei ohne demokratische Teilhabe beschlossen. Die Voraussetzungen dafür sind jedoch, dass es sich um kurzfristige Ausnahmefälle handeln muss. Angesichts einer Geltungsdauer von eineinhalb Jahren und Auswirkungen über Jahrzehnte hinweg sind daher diese Bedingungen nicht erfüllt und der Rechtsakt unzulässig.
  2. Die Aussetzung der UVP-Pflicht widerspricht der UVP-Richtlinie, der Aarhus- und der Alpenkonvention, die für bestimmte Projekte eine solche Pflicht vorsehen. Diese beiden völkerrechtlichen Verträge stehen in der rechtlichen Hierarchie über der EU-Notfallmaßnahmen-VO und dürfen durch sie nicht beeinträchtigt werden.
  3. Die Lösung der EU, die wichtigsten Richtlinien zum Naturschutz für Energiewendeprojekte teilweise auszusetzen (namentlich die FFH-, die Vogelschutz- und die Wasserrahmen-RL) geht am Ziel vorbei, da nur eine naturverträgliche und biodiversitätsschonende Energiewende auch im Kampf gegen die Klimakrise erfolgreich sein kann. Zerstörte Ökosysteme sind große Emittenten von klimaschädlichem CO2, wohingegen intakte Ökosysteme CO2 binden.
  4. Der gewählte Weg hebelt außerdem etablierte Umweltstandards und Abläufe aus, geht aber an der faktisch nötigen Beschleunigung vorbei. Wie eine Studie der BOKU und von ÖKOBÜRO erhoben hat, sind die wesentlichen Beschleunigungsfaktoren für Umweltverfahren gut ausgestattete Behörden und Amtssachverständige, eine kohärente, verbindliche Energieraumplanung und die frühzeitige und effektive Einbindung der Öffentlichkeit.

Die Verordnung liegt derzeit bis Mai beim Rat der EU zur Stellungnahme. Sollte dieser beschließen, sie aufrecht zu erhalten, kann von ÖKOBÜRO und bankwatch ein Rechtsmittel an den EuGH erhoben werden.
 

Gesamtes Rechtsmittel


Umweltrecht & Agenda 2030:

Die Sicherung des breiten Zugangs zu bezahlbarer, verlässlicher, nachhaltiger und moderner Energie ist als SDG 7 Teil der Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen (SDGs – Sustainable Development Goals) und in der Gesetzgebung sowie im Vollzug zu beachten. Angesichts der potentiell langfristigen und irreversiblen Schäden auf das Ökosystem, dessen Erhalt und Förderung ebenfalls gleichwertig zu behandelnde Ziele der nachhaltigen Entwicklung darstellen, kann die Notfallmaßnahmen-VO zur Energiewende nicht als geeignete Maßnahme für eine vermeintliche Verbesserung in der unabhängigen Energieversorgung Anwendung finden. 


Gregor Schamschula ist Umweltjurist bei ÖKOBÜRO. Er leitet den Bereich Recht und hat seine Schwerpunkte im Wasser-, UVP- und Artenschutzrecht.