ÖKOBÜRO - Allianz der Umweltbewegung
Österreich kommt seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen zu den Rechten der Öffentlichkeit im Umweltschutz auch im Jahr 2025 nur unzureichend nach. Das bestätigt nicht nur die aktuelle Entscheidung der Vertragsstaatenkonferenz der Aarhus-Konvention, sondern auch eine ÖKOBÜRO Kurzstudie. Warum die Beteiligung und der Zugang zu Gerichten für die Zivilgesellschaft noch immer ein Hürdenlauf ist und warum wir ein einheitliches Umwelt-Rechtsbehelfs-Gesetz brauchen.
© Markus Spiske via Pexels
Es ist ein Jubiläum, das keines zum Feiern ist. Vor 20 Jahren, im Jahr 2005, hat Österreich die Aarhus-Konvention ratifiziert. Damit verpflichtete sich die Republik völkerrechtlich, drei zentrale Säulen der Umweltdemokratie zu garantieren: den Zugang zu Umweltinformationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und – als entscheidendes Korrektiv – den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten.
Doch auch zwei Jahrzehnte später fällt die Bilanz ernüchternd aus. Mehr noch: Sie ist alarmierend. Im November 2025 musste die Vertragsstaatenkonferenz erneut formell feststellen, dass Österreich die Konvention nicht einhält („Non-Compliance“). Dies ist die direkte Folge eines seit 2010 laufenden Verfahrens vor dem Einhaltungsausschuss (ACCC/C/2010/48), initiiert von ÖKOBÜRO um die Umsetzung voran zu treiben.
Unsere aktuelle Kurzstudie „Umsetzungsstand der Aarhus-Konvention in Österreich 2025“ analysiert die Situation im Detail. Das Ergebnis zeigt, dass die Defizite nicht bloß punktuelle Fehler sind. Sie sind systemisch, chronisch und teilweise sogar das Ergebnis bewusster politischer Rückschritte.
Ein funktionierender Umweltschutz braucht eine starke Stimme der Natur. Grundlage dafür ist die rechtliche Anerkennung von Umweltorganisationen (nach § 19 Abs 7 UVP-G). Nur wer anerkannt ist, darf sich in Verfahren einbringen und Missstände vor Gericht bringen. Doch statt diese wichtige Rolle zu stärken, hat der Gesetzgeber sie in den letzten Jahren eher erschwert.
Die UVP-G-Novelle 2018 hat Hürden eingezogen, die sich nun auch völkerrechtlich als unhaltbar erweisen. Besonders problematisch ist die „100-Mitglieder-Hürde“. Vereine müssen nachweisen, dass sie mindestens 100 Mitglieder haben, um anerkannt zu werden – bestätigt durch Notariate oder Wirtschaftsprüfungen. Hinzu kommt eine bürokratische Erneuerungspflicht durch anlasslose Vorlage aller Unterlagen erneut alle drei Jahre. Während diese bürokratische Hürde zu wenig Änderungen geführt hat, wurde die österreichische Mitglieder-Grenze nun auch völkerrechtlich gerügt. Das Aarhus Convention Compliance Committee (ACCC) hat mehrfach klargestellt, dass starre Mengenkriterien für Mitgliederzahlen unzulässig sind. Sie schließen gerade kleinere, regional tätige Organisationen aus, die oft das wichtigste Korrektiv bei lokalen Umweltproblemen sind.
Bei der ersten Säule, dem Zugang zu Umweltinformationen, steht Österreich vergleichsweise besser da – nicht zuletzt dank des 2025 in Kraft getretenen Informationsfreiheitsgesetzes. Doch Papier ist geduldig. In der Praxis kann es dennoch zu Verzögerungen kommen. Besonders gravierend: Weigert sich eine Behörde selbst nach einem Verwaltungsgerichtsentscheid, eine beantragte Information herauszugeben, fehlt im österreichischen Verwaltungsverfahrensrecht eine effektive „Ersatzvornahme“. Es gibt kein Zwangsmittel, mit dem das Gericht die Information direkt herausgeben kann. Der theoretische Weg einer Amtsmissbrauchsanzeige hilft dem Umweltschutz in der Sache nicht weiter und ist kein „effektiver Rechtsbehelf“ im Sinne der Konvention.
Auch bei der Öffentlichkeitsbeteiligung (zweite Säule) identifiziert die Studie erhebliche Lücken. Beteiligung ist laut der Aarhus Konvention nur dann wirksam, wenn sie „frühzeitig“ erfolgt – also zu einem Zeitpunkt, an dem noch alle Optionen offen sind, inklusive der „Null-Option“ (das Projekt nicht zu bauen).
In der österreichischen Realität finden wesentliche Weichenstellungen jedoch oft in informellen Vorgesprächen oder übergeordneten Plänen statt, lange bevor die Öffentlichkeit eingebunden wird. Wenn Bürgerinnen und Bürger und Umweltorganisationen schließlich Stellung nehmen dürfen, sind die Fakten oft schon geschaffen.
Zudem fehlt ein Antragsrecht auf Durchführung unterlassener Prüfungen. Wenn eine Behörde fälschlicherweise entscheidet, dass für ein Großprojekt keine Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP) oder bei Beeinträchtigung eines Natura 2000 Gebietes keine Naturverträglichkeitsprüfung (NVP) nötig ist, hat die betroffene Öffentlichkeit oft keine gesetzliche Handhabe, diese Prüfung einzufordern. Zwar gibt es hier positive Entwicklungen in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung, doch der Gesetzgeber bleibt säumig, dies rechtssicher im Gesetz zu verankern.
Die gravierendsten Verstöße finden sich jedoch in der dritten Säule, dem Zugang zu Gerichten. Während in Bereichen, die durch EU-Recht determiniert sind, zumindest gewisse Klagemöglichkeiten bestehen, ist der Rechtsschutz im rein nationalen Umweltrecht nahezu nicht existent.
Die ÖKOBÜRO Studie deckt hier fünf zentrale Problemfelder auf:
Die Analyse ist eindeutig: Die bisherige „Salamitaktik“, die immer nur das absolute Minimum repariert, das von der EU oder dem ACCC gerade noch geduldet wird, ist gescheitert. Die Lücken sind zu groß und das System zu zersplittert. Um die völkerrechtswidrigen Zustände nachhaltig zu beenden, fordert ÖKOBÜRO seit Jahren die Schaffung eines einheitlichen Umwelt-Rechtsbehelfs-Gesetzes (URBG) nach deutschem Vorbild. Ein solches Bundesgesetz würde den Rechtsschutz (Art 9 der Aarhus-Konvention) aus den verschiedenen Materiengesetzen herauslösen und einheitlich regeln. Das könnte das Zwei-Klassen-System zwischen faktisch gewährtem Rechtsschutz beim EU-Recht und fehlenden Rechten im rein nationalem Recht beenden. So könnte Österreich Rechtssicherheit für alle Beteiligten schaffen und endlich seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen nachkommen. Die Alternative wäre eine mühsame Überarbeitung von dutzenden Einzelgesetzen auf Bundes- und Landesebene.
Gregor Schamschula ist Umweltjurist bei ÖKOBÜRO. Er leitet den Bereich Recht und hat seine Schwerpunkte im Wasser-, UVP- und Artenschutzrecht.