18. Juni 2025

VwGH stärkt Umweltschutzorganisationen bei Naturverträglichkeitsprüfungen

ÖKOBÜRO - Allianz der Umweltbewegung

In einer Entscheidung zu Forststraßen in Niederösterreich legt das Höchstgericht ein Antragsrecht über Umwege fest.  

Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) hat in einer aktuellen Entscheidung vom 22. Mai 2025 (Ra 2023/10/0330-13) die Rechte anerkannter Umweltorganisationen maßgeblich gestärkt. Das Urteil befasst sich mit der Frage der Beschwerdelegitimation von Umweltorganisationen in naturschutzrechtlichen Bewilligungsverfahren und hat weitreichende Bedeutung für die effektive Durchsetzung des Unionsumweltrechts in Österreich, insbesondere im Kontext der Naturverträglichkeitsprüfung (NVP) und der Aarhus-Konvention. 

Der Ausgangspunkt: Forststraße im Europaschutzgebiet 

Der Entscheidung lag der Fall einer naturschutzbehördlichen Bewilligung für die Errichtung einer Forststraße zugrunde. Diese befindet sich in einem Landschaftsschutzgebiet, einem Natura 2000-Gebiet und einem Vogelschutzgebiet. Die belangte Behörde stützte ihre Entscheidung auf §§ 7 und 8 Abs 3 und 4 des NÖ Naturschutzgesetzes 2000 (NÖ NSchG 2000) und ging davon aus, dass eine Beeinträchtigung der geschützten Interessen durch die Vorschreibung von Auflagen weitgehend ausgeschlossen werden könne. Ein im Verfahren eingeholtes Gutachten eines Amtssachverständigen für Natur- und Landschaftsschutz kam zudem zu dem Schluss, dass das Projekt weder einzeln noch im Zusammenwirken mit anderen Plänen oder Projekten zu einer erheblichen Beeinträchtigung eines Europaschutzgebietes führen könne, womit eine Bewilligungspflicht nach § 10 Abs 1 NÖ NSchG 2000, also der NVP-Pflicht, verneint wurde. 

Gegen diesen Bescheid erhob eine anerkannte Umweltorganisation Beschwerde. Sie machte geltend, dass eine erhebliche Beeinträchtigung des Vogelschutzgebiets und möglicherweise auch des Europaschutzgebiets vorliege und die Vorprüfung nach § 10 NÖ NSchG 2000 zum Ergebnis hätte führen müssen, dass eine Naturverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist. Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich wies die Beschwerde mangels Beschwerdelegitimation der Umweltorganisation zurück. Es begründete dies im Wesentlichen damit, dass das gegenständliche Bewilligungsverfahren nach § 8 NÖ NSchG 2000 keine Parteistellung der Umweltorganisation vorsehe. Auch aus der Aarhus-Konvention könne keine unmittelbare Anwendbarkeit im innerstaatlichen Recht abgeleitet werden. Zwar habe der EuGH die Anforderungen für Beteiligungs- und Überprüfungsrechte von Umweltorganisationen konkretisiert, doch sei dies in der letzten Novelle zum NÖ NSchG bereits geregelt worden, indem Umweltorganisationen nur gegen bestimmte Bescheide nach § 10 Abs 1 und 2 sowie § 20 Abs 4 NÖ NSchG 2000 Beschwerde erheben könnten. 

Die Entscheidung des VwGH: Eine Klarstellung mit weitreichender Wirkung 

Der VwGH hob den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf. Er stellte klar, dass die Auffassung des Verwaltungsgerichts, der Umweltorganisation fehle die Beschwerdelegitimation, weil der bekämpfte Bescheid nicht unter die mit der Novelle LGBl. Nr. 26/2019 geschaffenen Bestimmungen des NÖ NSchG 2000 (§§ 27b, 27c NÖ NSchG 2000) zu subsumieren sei, zu kurz greife. Der VwGH verwies auf seine eigene Rechtsprechung, wonach einer anerkannten Umweltorganisation – ungeachtet nationaler Verfahrensvorschriften, die ihr keine Parteistellung oder Rechtsmittellegitimation zuerkennen – aufgrund der Rechtsprechung des EuGH eine aus Art 9 der Aarhus-Konvention in Verbindung mit Art 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) abgeleitete Rechtsmittellegitimation zuzuerkennen ist.  

Dies soll die anerkannten Umweltorganisation in die Lage versetzen, die Beachtung der aus dem Unionsumweltrecht hervorgegangenen Rechtsvorschriften überprüfen zu lassen. Das entscheidende Kriterium für die Beurteilung der Beschwerdelegitimation einer anerkannten Umweltorganisation in einem bestimmten naturschutzrechtlichen Verfahren ist somit die Frage, ob in diesem Verfahren (auch) der Schutz von Normen des Unionsumweltrechts auf dem Spiel stand. Im vorliegenden Fall sei die belangte Behörde der Einschätzung des Amtssachverständigen gefolgt, dass keine erhebliche Beeinträchtigung eines Europaschutzgebietes vorliege und somit eine Bewilligungspflicht nach § 10 Abs 1 NÖ NSchG 2000 verneint wurde. Das Vorbringen der Umweltorganisation richtete sich jedoch gerade gegen diese Auffassung und thematisierte das Unterbleiben einer Naturverträglichkeitsprüfung.  

Der VwGH betonte, dass das für Europaschutzgebiete geltende Instrument der Naturverträglichkeitsprüfung nach Art 6 Abs 3 FFH-Richtlinie in § 10 NÖ NSchG 2000 umgesetzt wurde und die dort getroffenen Rechtsvorschriften unzweifelhaft aus dem Unionsumweltrecht hervorgegangen sind. Die Beachtung derartiger Rechtsvorschriften müsse von der Umweltorganisation als anerkannter Umweltorganisation in diesem naturschutzrechtlichen Bewilligungsverfahren geltend gemacht werden können, zumal § 10 Abs 2 NÖ NSchG 2000 lediglich den Projektwerbenden und der NÖ Umweltanwaltschaft ein Antragsrecht zuerkennt. 

Bedeutung über den Einzelfall hinaus 

Diese Entscheidung des VwGH ist eine wichtige Fortführung der “Aarhus-Judikatur” der Höchstgerichte und stellt eine Stärkung der Rechte der Öffentlichkeit dar. Das Erkenntnis bestätigt die Parteistellung anerkannter Umweltorganisationen, auch wenn das nationale Recht diese nicht explizit vorsieht. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die - der Aarhus Konvention nicht inhärente - Verknüpfung von Parteistellung und Rechtsmittelbefugnis, die mangels korrekter nationaler Umsetzung dem österreichischen Rechtssystem geschuldet ist. Die Entscheidung unterstreicht erneut diese Problematik der lückenhaften legistischen Implementierung der Aarhus-Konvention in Österreich. Obwohl die Konvention bereits seit 2001 in Kraft ist, bedarf es immer wieder gerichtlicher Klarstellungen, um die Beteiligungs- und Rechtsmittelrechte von anerkannten Umweltorganisationen sicherzustellen, vor allem natürlich im Umweltunionsrecht.  

Die Möglichkeit für Umweltorganisationen, das Unterbleiben einer Naturverträglichkeitsprüfung nun endlich auch effektiv gerichtlich überprüfen zu lassen, ist ein wichtiger Schritt bei der Kontrolle für den Schutz von Natura 2000-Gebieten. Projekte, die potenziell erhebliche Auswirkungen auf Europaschutzgebiete haben könnten, müssen einer sorgfältigen Prüfung unterzogen werden. Die höchstgerichtliche Lösung im konkreten Fall erinnert etwas an die Lösung der auf die Frage der UVP-Pflicht beschränkten Parteistellung der betroffenen Öffentlichkeit in Materieverfahren zu Großprojekten mangels eines entsprechenden Antragsrechts auf UVP-Feststellung. In der Konsequenz sind nun Behörden gefragt, bei Bewilligungsverfahren im Zusammenhang mit Europaschutzgebieten die Notwendigkeit der Durchführung einer NVP genauer zu prüfen und im Zweifel auch einer rechtlichen Kontrolle zugänglich zu machen. 

Gregor Schamschula ist Umweltjurist bei ÖKOBÜRO. Er leitet den Bereich Recht und hat seine Schwerpunkte im Wasser-, UVP- und Artenschutzrecht.