27. September 2022 | News, Nachlese

Nachlese: Zukunftsorientierte Energieraumplanung für eine naturverträgliche Energiewende

Lessons learned aus der Schweiz - Eine gemeinsame Veranstaltung von ÖKOBÜRO und der Arbeiterkammer Wien, 12. September 2022

 

Die Zwillingskrise aus Erderhitzung und Artensterben schreitet voran und zeichnet immer deutlichere Spuren. Für die Bekämpfung der Klima- und Biodiversitätskrise braucht es neben der Reduktion des Energieverbrauchs einen Umbau des Energiesystems. Doch auf Planungsebene fehlt in Österreich – anders als in der Schweiz – ein bundesweit abgestimmtes Vorgehen für eine naturverträgliche Energiewende. Im Zentrum der gemeinsamen Veranstaltung stand daher die Frage, was wir von unserem Nachbarstaat lernen können, wenn es um verbindliche Planung und Planungskoordination im Energiebereich bzw. in der Raumordnung geht. Gemeinsam mit rund 160 Teilnehmenden diskutierten wir, ob bzw. wie das Schweizer Modell in Österreich umsetzbar wäre.

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Ausbau erneuerbarer EnergienÜberlegungen zur Grundsatzgesetzgebung des Bundes

Nach einleitenden Worten von Sylvia Leodolter (Arbeiterkammer Wien, Abteilungsleiterin Umwelt und Verkehr) und Lisa Weinberger (ÖKOBÜRO, Umweltjuristin) folgte ein Vortrag von Dragana Damjanovic (TU Wien) zur Möglichkeit einer Grundsatzgesetzgebung des Bundes für Energieraumplanung. Ausgangspunkt für ihren Beitrag war die derzeitige kompetenzrechtliche Verortung der Energieraumplanung als Teilbereich der Raumplanung der Bundesländer – sprich: es herrscht die Meinung vor, dass der Bereich primär in der Zuständigkeit der Länder und Gemeinden liege. Mit dem von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen RePower-Paket, welches die Ausweisung von Eignungsflächen für Erneuerbare Energieträger in allen Mitgliedsstaaten verlangt und sodann das Erfordernis einer UVP dafür entfallen lassen will, könnten Bund und Länder bald mit der Umsetzung weiterer EU-Vorgaben konfrontiert sein. Die derzeitigen Planungen auf Bundesländerebene sind unzureichend, da die Ausbauziele und Flächenausweisungen der Bundesländer die Bundesziele im Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz nicht widerspiegeln.

Damjanovic zeigt in ihrem Vortrag zwei Wege, wie konkrete Vorgaben für die Bundesländer im Wege eines Bundes-Grundsatzgesetzes festgelegt werden könnten. Denn die Grundsatzgesetzgebungskompetenz dafür ist bereits vorhanden: Die Kompetenz fürs „Elektrizitätswesen“ (Art 12 Abs 1 B-VG) umfasst auch Fachplanungen im Bereich des Elektrizitätswesen – allerdings eben nur im Grundsatz. Damit sind die verfassungsrechtlichen Grundlagen für die Grundsatzgesetzgebung des Bundes für Energieraumplanung bereits gegeben. Eine Art-15a-Vereinbarung zwischen Bund und Ländern hält Damjanovic nicht für zweckmäßig.

Inhalte eines solchen Grundsatzgesetzes könnten laut Damjanovic sein:

  • Festlegung des Beitrags jedes Bundeslandes zu den Ausbauzielen (entweder ziffernmäßig konkret oder alternativ im Wege eines der Governance-Verordnung gleichwertigen Mechanismus zur Ermittlung der konkreten Anteile je Bundesland)
  • Verpflichtung zur Ermittlung des Flächenbedarfs und zur Ausweisung von Eignungs- und Ausschlusszonen
  • Festlegung der Qualität von Eignungszonen als überörtliche Widmungen, die im Flächenwidmungsplan kenntlich zu machen sind

Dragana Damjanovic spricht über Möglichkeiten einer Grundsatzgesetzgebung im Bereich der Energieraumplanung

Raumplanungsrechtlicher Rahmen und Planungskoordination in der Schweizumplanung

Leonhard Zwiauer stellte sich der Aufgabe, dem Publikum einen ersten Eindruck vom raumplanungsrechtlichen Rahmen und den Wegen und praktischen Erfahrungen bei der der Planungskoordination in der Schweiz zu geben. Er selbst arbeitet für das Bundesamt für Raumentwicklung (ARE), einem eigens dafür eingerichteten Bundesamt.

Wie in Österreich obliegt die allgemeine Raumplanung den Kantonen und Gemeinden. Anders als in Österreich hat der Bund in der Schweiz eine Gesetzgebungskompetenz für Raumordnung. Wenn Art. 75 der Schweizer Bundesverfassung dem Bund die Regelung der „Grundsätze der Raumplanung“ zuweist, dann ist damit nicht eine Grundsatzgesetzgebungskompetenz wie in Österreich gemeint, sondern die Regelungskompetenz für das Bundesgesetz über die Raumplanung (RPG), welches den ganzen Rahmen, die Ziele und Planungsgrundsätze und Maßnahmen der Raumplanung zusammen mit der vieles konkretisierenden Raumplanungsverordnung (RPV) regelt. Insbesondere sind dort wesentliche Gebote der Raumplanung wie Abstimmung, Zusammenarbeit und Kooperation, Planungspflicht und Koordination abgebildet. Daneben besteht noch eine Regelungskompetenz der Kantone für Ausführungsvorschriften.
Weitere Details des Schweizer Modells haben wir in einem eigenen Beitrag zur Präsentation vom 12.9. hier zusammengefasst.

Praxisbeispiel Burgenland

Das Burgenland gilt schon lange als Vorzeigebeispiel, wenn es um den Ausbau der Erneuerbaren unter guter und frühzeitiger Einbindung der Öffentlichkeit geht. Peter Zinggl teilte in seinem Impuls die wichtigsten Erfolgsfaktoren aus der Perspektive der Landesverwaltung und betonte, dass für erfolgreiche Genehmigungsverfahren vor allem vorhergehende Planungen, Zonierungen und die Frühphase der Projekte entscheidend sind. Zinggl nannte außerdem die Landesumweltanwaltschaft als wichtige Anlaufstelle, die verbindend zwischen den verschiedenen Interessen wirkt, sowie die frühzeitige Einbindung der Öffentlichkeit als Schlüssel für die breite Akzeptanz von Energiewendeprojekten. Gute Planung und partizipative Prozesse zahlen sich aus: So habe das Land Burgenland in der Vergangenheit etwa 400 Windkraftanlagen ohne Einsprüche abgewickelt.

Chancen des Netzinfrastrukturplans (NIP)

Judith Neyer vom Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) berichtete über den Stand der Umsetzung des integrierten Netzinfrastrukturplans, welcher als Teil der Klima- und Energiestrategie der Regierung für den Bereich Strom und Gas die bestehende Versorgungs- und Energiesicherheit stärken soll. Ziel des NIP ist die Darstellung der zukünftigen Strom- und Gasinfrastruktur für 100 % erneuerbaren Strom, d.h. konkret die Darstellung von realisierbaren Potenzialflächen für Wind, Photovoltaik, Wasserkraft, Biomasse und Biogas für ganz Österreich. Die Grundlagen dafür liefert das Umweltbundesamt. Neyer betonte, dass die Energiewende insbesondere eine neue Art von Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern braucht, weshalb die Länder auch in die Arbeiten zum NIP eingebunden werden sollen. Weiters sind mehrere Round Tables mit Stakeholdern, darunter auch Umweltschutzorganisationen und Interessenvertretungen, geplant. Die Veröffentlichung des NIP ist für Ende Juni 2023 geplant.

Verbindliche Entscheidungen für den Netzausbau

Auch Christian Bellina von der Austrian Power Grid (APG) betonte in seinem Impulsstatement die Notwendigkeit von verbindlichen Entscheidungs- und Beurteilungsstandards für einen raschen Stromnetzausbau. Dadurch werden wichtige Grundsatzfragen einheitlich festgelegt und schon vor Projektbeginn geklärt sowie fachliche Redundanzen vermieden. Das betrifft etwa die Frage der Auswirkungen von elektromagnetischen Feldern, wo verbindliche Grenzwertfestlegungen basierend auf dem aktuellen Wissenschaftsstand notwendig wären, etwa analog der deutschen Verordnung über elektromagnetische Felder (26. BImSchV) in der Höhe von 100 µT. Das betrifft aber nicht nur Neubauten: Für Ersatzneubauten mit höherer Transportkapazität auf bestehenden Trassen braucht es auch solche Regelungen in Form von Relevanzschwellen für EMF. Außerdem braucht es eine gesetzliche Regelung, mit der bei Neubauten der Korridor sowie in einem zweiten Schritt die projektierte Trasse bis zur Errichtung der Leitungsanlage vor Bebauungen geschützt werden kann. Für eine rasche Umsetzung der für die Energiewende erforderlichen Leitungsprojekte braucht es vor allem die fristgerechte Veröffentlichung des NIP.

Das Podium (v.l.n.r.): Gregor Schamschula, Astrid Rössler, Juliane Nagiller, Renate Steinmann, Werner Hochreiter, Judith Neyer

Podiumsdiskussion: Lösungswege für eine zukunftsorientierte Energieraumplanung in Österreich

Mit der Frage, was Österreich von der Schweiz lernen kann, startete der zweite Teil der Veranstaltung. Renate Steinmann (Land Salzburg) sprach sich für bundesweit verbindliche Vorgaben durch den Bund aus, da diese auch die Landesplanung zur Energiewende erleichtern könnte. Auch die notwendige Rechtssicherheit könne durch eine Grundsatzgesetzgebung gestärkt werden. Astrid Rössler (Die Grünen) gab zu bedenken, dass legistische Lösungen kein Allheilmittel seien und es vor allem den politischen Willen und Kooperationswillen zwischen Bund und Ländern brauche. „Planung als Gegenstromprinzip“, d.h. mit Kontroll- und Rückkopplungsmöglichkeiten zwischen Bund und Ländern wie in der Schweiz, nahm Rössler als besonders nützlich für den österreichischen Kontext wahr. Hier könne ein gesetzlich klar verankerter kooperativer Ansatz auch eine bessere Energieraumplanung ermöglichen.

Werner Hochreiter (Arbeiterkammer Wien) betonte das Potenzial des NIP, kritisierte aber dessen fehlende Verbindlichkeit. Frühzeitige Kooperation sei wichtig, aber diese müsse in verbindliche Antworten münden. Er stellte nochmals klar: „Der Bund hat bereits Kompetenzen im Elektrizitätswesen sowie im Bereich des Starkstromwegerechts, die er nicht nutzt.“ Die Debatte zur Energiewende in Österreich leide darunter, dass diese Fragen ungelöst bleiben. Die in der Schweiz gesetzlich verankerte Abstimmungs- und Berücksichtigungspflicht zwischen Bund und Kantonen sieht Hochreiter als wesentlichen Schlüssel für eine bessere Energieraumplanung, weshalb auch in Österreich mehr Regulierung notwendig sei. Raumplanung sei in Österreich noch viel zu politisch, es brauche ein koordiniertes Vorgehen. Die fehlende Verbindlichkeit sieht auch Rössler als wunden Punkt. Beispiele für Verbindlichkeit gebe es auf Landesebene, wo sich deren Nutzen zeige. (Weitere Details sind hier zum Nachlesen bereitgestellt).

Judith Neyer (BMK) bestätigte, dass für den NIP keine gesetzliche Verbindlichkeit vorgesehen ist, dieser aber trotzdem ein wichtiges Planungsdokument darstelle, unabhängig von deren Verbindlichkeit. Es brauche jedenfalls mehr Pläne und Programme, aber auch mehr Verbindlichkeit und Ressourcen. Gut sei jedenfalls, dass nicht über die Energiewende als Option, sondern als Notwendigkeit diskutiert wird.

Gregor Schamschula (ÖKOBÜRO – Allianz der Umweltbewegung) betonte, dass bei Planungsfragen die Biodiversitätskrise zu berücksichtigen sei, weil Klima- und Biodiversitätskrise als Zwillingskrise nur gemeinsam lösbar sei. Auch er plädierte für mehr Verbindlichkeit, da sonst der entlastende Effekt auf Projektebene fehle. Die aktuelle UVP-G Novelle sei ein Stellvertreter:innen-Streit, weil dort Fragen diskutiert werden, die in einer UVP nicht gelöst werden können, sondern vorher gelöst werden müssen. Die Ergebnisse des Planungsprozesse bringen jedoch in seinen Augen nichts, wenn sie nicht verbindlich sind. Dafür brauche es zumindest eine Kultur der Verbindlichkeit. Problematisch sah Schamschula, dass sich  das wichtigste Planungsinstrument, die Strategische Umweltprüfung, stark von der UVP in der Qualität ihrer Öffentlichkeitseinbindung unterscheidet. Frühzeitige Einbindung schaffe mehr Akzeptanz, weshalb die SUP gestärkt werden muss.

„Die Mitwirkung der Öffentlichkeit bringt Schwachstellen zuverlässig ans Tageslicht“, zitierte Renate Steinmann den Vortragenden aus dem Burgenland. Aus ihrer Erfahrung aus Salzburg könne sie bestätigen, dass nur eine frühzeitige Einbindung aller Stakeholder auch zu erfolgreichen Projekten führt. Rössler regte abschließend an, dass der Fokus auf erfolgreiche UVP-Projekte gelegt werden sollte. Sie führte dazu ein Beispiel aus dem Gasteinertal auf, wo Projektwerbende von vornherein offen kommuniziert und geplant haben und das Projekt in Folge ohne Einspruch in Mindestdauer bewilligt wurde. Damit bilden das Bekenntnis zu einer guten Umweltprüfung und die frühzeitige Einbindung der Öffentlichkeit für sie ein Raster dafür, wie eine UVP auch ablaufen kann.

Präsentationen:

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