19. Oktober 2023 | NEWSFLASH Umweltrecht

Tiroler Wölfe beschäftigen EuGH: Neues im Vorabentscheidungsverfahren

In Zusammenhang mit einer Bescheidbeschwerde betreffend die Entnahme eines Wolfes in Tirol hat das Landesverwaltungsgericht (LVwG) Tirol zuletzt den Europäischen Gerichtshof (EuGH) angerufen und diesem eine Reihe von Fragen zur Rechtsauslegung vorgelegt. In dem Vorabentscheidungsverfahren gibt es nun einen Verhandlungstermin. Angesichts dessen stellen ÖKOBÜRO – Allianz der Umweltbewegung und der WWF Österreich einmal mehr klar, dass die Tötung einer unionsrechtlich streng geschützten Art, wie dem Wolf, nach der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-RL) bereits jetzt möglich ist. Da die Tötung von Individuen allerdings den stärksten möglichen Eingriff darstellt, sind gelindere Mittel in diesen Fällen besonders genau zu untersuchen. Die österreichische Praxis ist diesbezüglich mangelhaft und verstößt gegen das geltende EU-Artenschutzrecht. 

Zum Verfahrenshergang

In Österreich werden im europäischen Vergleich überdurchschnittlich viele Wölfe zum Abschuss freigegeben und/oder tatsächlich getötet. In Summe wurden seit Inkrafttreten der Entnahmeverordnungen in den Bundesländern 12 Wölfe auf Grundlage einer Verordnung geschossen, was 16 % der hierzulande vorkommenden Wölfe entspricht. Daneben wurde erst kürzlich ein nachweislich illegal getöteter Wolf in Niederösterreich gefunden. Von den ursprünglich sieben Rudeln konnte bis dato nur noch bei drei eine Reproduktion nachgewiesen werden.  

Im Zusammenhang mit einer Bescheidbeschwerde von ÖKOBÜRO – Allianz der Umweltbewegung und WWF Österreich betreffend die Entnahme des Wolfes 158 MATK in Tirol, hat das Tiroler Verwaltungsgericht nun angesichts der zahlreichen unionsrechtlichen Fragen den EuGH angerufen. Das LVwG Tirol hat diesem eine Reihe von Fragen zur Rechtsauslegung der FFH-RL vorgelegt. Bei den Fragen, die das Verwaltungsgericht dem EuGH vorgelegt hat, geht es zum einen um den Gleichheitsgrundsatz: So sind Wölfe in wenigen europäischen Ländern, wie etwa den baltischen Staaten und Finnland, vom strengen Schutzregime der FFH-RL ausgenommen, während für Österreich bzw. die österreichische Almwirtschaft keine solche Ausnahme vorgesehen ist. Weiters möchte das LVwG vom EuGH wissen, ob der günstige Erhaltungszustand von Wölfen – der für die Abschüsse der streng geschützten Art Wolf laut Unionsrecht eine Voraussetzung ist – auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats zu beziehen ist, oder ob es für die Entnahmeentscheidungen ausreicht, wenn der günstige Erhaltungszustand im natürlichen Verbreitungsgebiet einer Population gegeben ist. Diese Betrachtung würde die Einbeziehung von Wölfen in den österreichischen Nachbarstaaten, beispielsweise der Schweiz, erlauben, wo deutlich mehr Wolfsindividuen und Rudel leben als in Österreich. Eine weitere Frage betrifft etwa die Definition des „ernsten drohenden Schadens“ – insbesondere im Hinblick darauf, dass sämtliche Almen nach Angaben der Tiroler Landesregierung nicht schützbar sind. Die Verhandlung dazu, die auch bei den anderen Mitgliedstaaten auf hohes Interesse stößt, findet am 25. Oktober 2023 in Luxemburg statt.  

Auf nationaler Ebene wurden sowohl das Anlassverfahren als auch sämtliche andere beim LVwG Tirol anhängigen Verfahren zu Entnahmebescheiden betreffend Wölfe bis zur Entscheidung durch den EuGH vorerst ausgesetzt. 

Faktenbasierter Umgang mit dem Wolf gefordert

Angesichts der vorgelegten Fragen betonen ÖKOBÜRO und WWF Österreich einmal mehr, dass der Abschuss einer unionsrechtlich streng geschützten Art, wie dem Wolf, bereits jetzt im Rahmen der FFH-RL möglich ist. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass durch die zuständige Behörde für den jeweiligen Einzelfall das Vorliegen eines Ausnahmegrundes belegt wird, kein gelinderes Mittel außer dem Abschuss möglich ist und der günstige Erhaltungszustand der Art in ihrem Verbreitungsgebiet nicht negativ beeinträchtigt wird (Art 16 FFH-RL).  

Tatsächlich wird in den österreichischen Bundesländern aber weder eine derartige Einzelfallprüfung noch eine ordnungsgemäße Alternativenprüfung durchgeführt. Mittlerweile stehen in fast allen Bundesländern (bis auf Wien und das Burgenland) sogenannte Entnahme-Verordnungen in Kraft oder befinden sich in Begutachtung, die pauschal die Tötung von angeblichen Problem-, Risiko- und Schadwölfen ermöglichen. Aufgrund des fehlenden flächendeckenden Monitorings ist der Erhaltungszustand von Wölfen in Österreich überhaupt nicht bekannt. Zudem werden Herdenschutzmaßnahmen pauschal als nicht machbar ausgeschlossen, obwohl drei erfolgreiche Pilotalmprojekte in Tirol das Gegenteil beweisen. Wölfe werden auch entgegen der FFH-RL in Österreich in Schutzgebieten nicht als Schutzgut gelistet. Erst im Herbst 2022 wurde daher ein neues Vertragsverletzungsverfahren gegen die Republik Österreich eingeleitet (INFR(2022)2056).

Die finale Beantwortung der vorgelegten Fragen durch den EuGH wird wohl noch einige Monate dauern, erst danach ist auch eine inhaltliche Entscheidung durch das nationale Gericht im Ausgangsfall zu erwarten.

Weitere Informationen:

Neuigkeiten in Bezug auf das Vorabentscheidungsverfahren zu Tiroler Wolf, News vom 3. Mai 2023

Vorabentscheidungsverfahren: Tiroler Wölfe beschäftigen nun den EuGH, Newsartikel vom 10. Oktober 2022