28. November 2023 | News, Nachlese

Nachlese zur Tagung "Von allem genug, von nichts zu viel"

Können wir erfüllt leben und dabei gleichzeitig unseren Planeten schützen? Welche Rahmenbedingungen braucht es, um unseren Energie- und Ressourcenverbrauch so zu reduzieren und zu verteilen, dass alle die Chance auf ein gutes Leben haben?

Diesen Fragen standen im Zentrum der gemeinsamen Veranstaltung von ÖKOBÜRO – Allianz der Umweltbewegung und der Armutskonferenz Österreich am 14. November, an der rund 140 Personen aus verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen teilnahmen. 

Könnte so eine sozial und ökologisch gerechtere Welt aussehen?

In ihren Begrüßungsreden erklärten Thomas Alge (ÖKOBÜRO) und Laura Allinger (Volkshilfe Österreich/Die Armutskonferenz) u.a., wie wichtig es ist, die Klimakrise als soziale Krise zu verstehen und sich der aktuellen Verteilung des gesellschaftlichen Ressourcenverbrauchs stärker zu widmen. Als wesentliche Probleme nannten sie u.a. den überproportional hohen Ressourcenverbrauch einzelner Bevölkerungsgruppen, während sozial und wirtschaftlich schlechter Gestellte oft die Hauptlast von Auswirkungen der Klimakrise u.v.m. tragen, sowohl national als auch global gesehen. Diese Personen würden zudem mit ihrem eigenen Verhalten wenig zu den Gesamtemissionen und dem Gesamtverbrauch beitragen.  Zentral sei es hier, die Debatte weg von der Verantwortung Einzelner zu lenken, um stattdessen über politische Schritte zu sprechen, die Strukturen für ein lebenswertes und ressourcenschonendes Leben für alle ermöglichen.

Christian Holzer (Sektionsleiter im Klimaschutzministerium) betonte, dass Einsparungen und Effizienz nötig seien. Er sieht es als gesellschaftspolitische Aufgabe, einen Wertewandel in der Bevölkerung zu bewirken und Menschen dabei mitzunehmen. Es gehe dabei nicht darum, unseren über Generationen aufgebauten Wohlstand aufzugeben, sondern Wohlstand zu ermöglichen, der gleichzeitig ökologisch verträglich und sozial gerecht verteilt ist. 

Klimakrise und Ressourcenverbrauch: eine Verteilungskrise 

Anke Schaffartzik (Central European University) Richard Bärnthaler (Wirtschaftsuniversität Wien) veranschaulichten in ihren anschließenden Impulsvorträgen, wie problematisch der Ressourcen- und Energieverbrauch unserer modernen Gesellschaften tatsächlich ist und welche Rolle soziale Ungleichheiten für unseren Ressourcenverbrauch spielen.

Anke Schaffartzik erklärte u.a., welches Ausmaß die Ressourcennutzung weltweit annimmt und wie unsere aktuellen Systeme und Infrastruktur uns abhängig von weiterem Energie- und Materialverbrauch in der Zukunft machen. Denn Strukturen wie Straßen oder Kraftwerke brauchen auch dann noch Ressourcenflüsse, wenn sie bereits gebaut sind. Je mehr Ressourcen wir in unsere gebaute Umwelt um uns herum integrieren (z.B. durch Häuser, betonierte Flächen usw.), desto schwieriger werde es außerdem, in der Zukunft ohne großen Energieaufwand rückzubauen und Materialien zu recyclen, was den künftigen Handlungsspielraum immer weiter einschränke und das Risiko für Konflikte erhöhe. Die Frage, wie ein “gutes Leben” auf nachhaltig und gerechte Art und Weise erreicht werden kann, solle nicht nur Ziel, sondern den Rahmen und die Basis für neue, dafür nötige gesellschaftliche Organisationsprinzipien (wie z.B. Gesetze) zu bilden. Diese Prinzipien sind als eine Art Werkzeugkoffer zu sehen, mit dem wir bewerkstelligen können, einander zu versorgen und füreinander vorzusorgen.  

Richard Bärnthaler erklärte, wieso neue Technologien nur begrenzt Antworten auf Zukunftsfragen liefern können und wieso es wichtig ist, nicht nur über Effizienz, sondern auch über Verbrauchsreduktion zu sprechen. Das Konzept der Konsumkorridore eröffne hier Möglichkeiten, indem angestrebt wird, als Gesellschaft den Ressourcenverbrauch insgesamt zu senken (Obergrenze des Konsums, um planetare Grenzen einzuhalten), aber auch dafür zu sorgen, dass innerhalb der Gesellschaft ein lebenswertes Leben für alle ermöglicht wird (Untergrenze des Konsums). Allerdings dürfe man dabei nicht nur die Konsumsphäre und individuelle Entscheidungen betrachten, um das Konzept zu nutzen: Denn auf der Produktionsseite würden die wesentlichen Entscheidungen getroffen und unser Unter- bzw. Überkonsum produziert werden. Nicht einzelne Konsument:innen, sondern jenen Personen, die Produktionsmittel in den Händen halten und damit z.B. auch über Werbung entscheiden, bestimmen unseren Ressourcenverbrauch maßgeblich.  

Er plädierte außerdem für Maßnahmen, die nicht entweder sozial oder klimafreundlich sind, sondern inhärent beides sind. Als eine Möglichkeit, um soziale Rechte zu sichern und ressourcenschonend zu handeln, nannte er die Dekommodifizierung, bei der bestimmte, für soziale Sicherheit wesentliche Leistungen von der Marktlogik gelöst werden und z.B. öffentlich bereitgestellt bzw. organisiert werden.

Das Podium (v.l.n.r.): Juliane Nagiller, Richard Bärnthaler, Martin Schenk, Hedy Spanner, Anke Schaffartzik, Anna Leitner

Podiumsdiskussion: Allianzen, Teilhabe und Daseinsvorsorge im Fokus  

Für die Podiumsdiskussion bat Moderatorin Juliane Nagiller zusätzlich zu den Vortragenden noch Martin Schenk (Die Armutskonferenz), Hedy Spanner (Plattform Sichtbar Werden) und Anna Leitner (Global 2000) auf die Bühne, um darüber zu sprechen, wie viel Energie und Ressourcen wir für ein gutes Leben brauchen und wie eine sozial und ökologisch gerechte Gesellschaft aussehen könnte.

Hedy Spanner berichtete aus der Sicht Armutsbetroffener, dass es bei dieser Bevölkerungsgruppe sehr wohl ein Bewusstsein für das Klima und für ein "gutes Leben“ gäbe, aber dass ihre finanzielle Situation und mangelnde soziale Teilhabe Armutsbetroffene massiv einschränken würden. Diese Lebensbedingungen würden es den Menschen fast unmöglich machen, ein gutes Leben zu verwirklichen, wobei gerade Frauen hier besonders benachteiligt seien. Neben adäquaten Teilhabe-Möglichkeiten mangle es außerdem an genügend Gehör für die Bedürfnisse von Armutsbetroffenen bzw. -gefährdeten. Hedy Spanner plädierte daher für neue Partizipationsmodelle, z.B. in der Form von Bürger:innenräten, aber auch für mehr Bewusstseinsbildung bei Armutsgefährdeten und -betroffenen über den Umgang mit Ressourcen.

Anke Schaffartzik betonte, dass der Wert eines Menschen oft leider daran festgemacht werde, was dieser besitzen könne. Sie forderte dazu auf, das Narrativ zu brechen, dass reiche Industrieländer mit ihrem Wirtschaftssystem den Schlüssel zu einem guten Leben hätten. Denn auch bei uns gäbe es Krankheiten, Probleme durch mangelnden sozialen Kontakt. Sie stellte die Frage in den Raum, ob es nicht bessere Lösungen gäbe, als Menschen bis zur Erschöpfung arbeiten (bzw. Care Arbeit leisten) zu lassen, um sie anschließend als Klimasünder:innen zu verurteilen, wenn sie sich durch eine Flugreise möglichst große Erholung erhoffen.

Martin Schenk schlug u.a. vor, die Frage nach dem Ressourcenverbrauch und der Klimakrise auch sozialstaatlich zu klären. Ähnlich wie unser Sozialstaat auf dem gegenseitigen Zusichern von Pension, Gesundheitsversicherung u.v.m. bestehe, könnte auch die Absicherung der Klimakrise funktionieren. Beispielsweise könne der Klimabonus genutzt werden, um die Klimakrise abzufedern, ohne die soziale Ungleichheit steigen zu lassen. Die Verzichtsdebatte in Zusammenhang mit Ressourcenverbrauch könne nur dann vermieden werden, wenn die ökologischere Handlung nicht nur die leichtere, sondern auch jene ist, für die Menschen mehr Anerkennung bekomme. Denn ein „besseres Leben“ würde immer über den Besitz von Gütern und/oder über sozialen Status definiert. 

Anna Leitner berichtete davon, wie innerhalb von Umwelt- und Klimaschutzorganisationen das Bewusstsein für soziale Fragen steigt und hob neue Allianzen zwischen sozialen Organisationen, Umwelt-NGOs u.v.m. hervor. Als wichtigen Faktor für eine Veränderung sieht sie außerdem die Eingrenzung der Macht einzelner Akteure, z.B. Konzernen. Niemand wolle Produkte kaufen, die durch Kinderarbeit entstanden sind oder die Umwelt außerhalb Europas zerstören, doch diese Praktiken seien derzeit Status quo. Das aktuell in Verhandlung befindliche EU-Lieferkettengesetz würde erstmals die Möglichkeit bieten, zivilrechtlich gegen rechtswidrige bzw. schädliche Konzerntätigkeiten vorzugehen. Aber auch hier brauche es Kooperation zwischen den Ländern des globalen Nordens und des Globalen Südens, um genau hinzusehen, was schiefläuft. 

Richard Bärnthaler unterstütze die Forderung nach Allianzen und Kooperationen für sozial und ökologische Lösungen und betonte, dass es vor allem öffentliche Entscheidungsträger:innen brauche, die Mut zeigen. Wichtig sei es auch, der künstlichen Verknappung jener Güter entgegenwirken, die wir für ein gutes Leben brauchen. Mit dem Konzept der „Radical Abundance“ („radikale Fülle“) könnte dagegen das Ziel verfolgt werden, dass alle wichtigen Dinge für ein gutes Leben ausreichend und für alle vorhanden sind. Eine qualitativ hochwertige Daseinsvorsorge hätte dabei mehrere Vorteile: öffentliche Bereitstellung sei nicht nur besser darin, Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen, sondern schneide auch beim Energieverbrauch besser ab. 

16 Handlungsempfehlungen der Teilnehmenden  

Vier Workshops am Nachmittag widmeten sich schließlich den Themen Bauen & Wohnen, Mobilität & Verkehr, Ernährung & Landwirtschaft sowie Freizeit & gesellschaftliche Teilhabe, um konkrete Lösungsansätze auszuarbeiten und Empfehlungen an die Politik zu formulieren. Inhaltliche Impulse lieferten dabei nicht nur bisherige Zwischenergebnisse aus dem Projekt von ÖKOBÜRO und der Armutskonferenz (Details siehe unten), sondern auch Kurz-Vorträge von Expert:innen der jeweiligen Themengebiete: Katharina Litschauer (WU Wien), Barbara Laa (TU Wien), Martin Schlatzer (BOKU/FiBL Austria) und Barbara Smetschka (BOKU).  

Bei der gemeinsamen Ergebnispräsentation zeigte sich nicht nur, dass zahlreiche Handlungsoptionen verfügbar sind, sondern auch, dass es wichtig ist, Menschen und ihre Bedürfnisse einzubinden, um zukunftsfähige Entscheidungen zu treffen. Würfel für Würfel entstand dazu eine symbolische Stadt auf der Bühne, auf der jeweils vier Lösungsansätze aus vier Gruppen zu sehen waren. 

Die erarbeiteten Lösungsansätze der vier Nachmittagsworkshops auf einen Blick. Auf das Bild klicken, um es zu vergrößern.

Hintergrund der Veranstaltung:  

Die Veranstaltung ist eingebettet in ein Förderprojekt des Klimaschutzministeriums, das eine breite gesellschaftliche Debatte rund um ökologisch sinnvollen, ebenso wie sozial gerechten Ressourcenverbrauch zum Ziel hat. Im Rahmen des Projekts wurden bereits vor der Veranstaltung Gespräche und Workshops mit Armutsbetroffenen, Jugendlichen, Vertreter:innen aus Umwelt- und sozialen Organisationen sowie mit Wissenschaftler:innen abgehalten. Dadurch sollte ein möglichst diverses Bild davon entstehen, wo Bedürfnisse, Herausforderungen und mögliche Lösungsansätze für eine ressourcenschonende und lebenswerte Zukunft liegen. Der Projektschwerpunkt auf Rahmenbedingungen soll dabei helfen, die Diskussion rund um Ressourcenschonung und Klimaschutz von der individuellen Entscheidungsebene (z.B. Kaufentscheidungen einzelner Personen) wegzubringen, und vermehrt politische Verantwortung für das Schaffen klimafreundlicher, ressourcenschonender Strukturen für eine lebenswerte Zukunft ins Zentrum zu stellen.

Die Empfehlungen, die im Rahmen des Projekts und der Veranstaltung entstehen, werden Anfang 2024 im Rahmen eines Hintergrund- und Empfehlungspapiers veröffentlicht und an politische Entscheidungsträger:innen übergeben. 

Projektwebsite:
 

Bevorstehende Events von ÖKOBÜRO / Die Armutskonferenz:
 

Materialien zum Event:
 

- Veranstaltungsprogramm

- Graphic Recording der Vorträge und der Podiumsdiskussion

- Vorträge

- Video-Rückblick