Am 9. April 2024 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) seine Urteile in großer Kammer verkündet. Die Klagen einer Gruppe portugiesischer Jugendlicher und eines Franzosen wies er als unzulässig zurück, einer Klage von einem Schweizer Verein gab er Recht. Bisher hatte der Gerichtshof ausschließlich Klagen von Individualpersonen als direkt Betroffene zugelassen. Im auf-sehenerregenden Urteil zur Schweiz hatte neben 5 Einzelpersonen aber auch der Verein an sich geklagt.
Schweizer Klimaseniorinnen bekommen Recht
Die KlimaSeniorinnen hatten Klage gegen die Schweiz eingebracht. Die Mitglieder, Frauen mit dem Durchschnittsalter von 73 Jahren, argumentierten damit, besonders von den Auswirkungen des Kli-mawandels betroffen zu sein. Dabei hätten vor allem die Temperatursteigerungen durch die Klima-erwärmung erhebliche Auswirkungen auf die Lebensqualität von Frauen hohen Alters.
Besondere Stellung von Vereinen und Umweltorganisationen
Der EGMR ließ den Verein als klageberechtigt zu und begründete dies unter anderem damit, dass der Klimawandel ein "common concern of humankind" sei. Außerdem beträfe er kollektive Interessen und Maßnahmen, weshalb Vereine, die Klimaschutz als Zweck haben, geeignet sind diesen für ihre Mitglieder vor dem EGMR durchzusetzen. Manche der Rechte könnten mit Blick auf den Klimawandel nur von Vereinen und nicht von Einzelpersonen durchgesetzt werden. Deshalb sei es, auch vor dem Hintergrund der Aarhus-Konvention, zulässig als gemeinnütziger Verein mit Ziel den Klimawandel zu bekämpfen, vor dem Gerichtshof zu klagen.
Begründung der Opferstellung
Die Opferstellung von Vereinen unter Art 34 EMRK begründete der EGMR ausführlich. Er betonte dabei die Mitgliedschaft der Aarhus-Konvention, welche die Mitgliedsstaaten des Europarates fast alle innehaben. Die Konvention sieht die besondere Stellung von Umweltorganisationen als einen zentralen Punkt vor. Außerdem wies der EGMR auf Art 47 der GRC hin. In einer vergleichenden Studie habe der EGMR festgestellt, dass in allen Europaratsstaaten die Möglichkeit für Umweltorganisationen besteht, in Bezug auf umweltrelevante Verfahren Parteistellung zur Wahrung von allgemeinen Umweltinteressen wahrzunehmen. Eine Abgrenzung dieser Klagemöglichkeit zur actio popularis, die unter der EMRK in seiner konsistenten Rechtsprechung ausgeschlossen ist, nahm der EGMR nicht vor.
Die Opferstellung der Einzelpersonen im Fall KlimaSeniorinnen wurde im Urteil verneint. Die Begründung: es liege keine ausreichende Intensität der individuellen Betroffenheit vor, die individuellen Schutz verlange. Die Schwelle für den individuellen Opferstatus ist für den Gerichtshof im Fall von Klimaklagen sehr hoch anzusetzen.
Unzureichender Klimaschutz der Schweiz
Der Gerichtshof hielt zum ersten Mal fest, dass Art 8 der EMRK ein Recht auf effektiven Schutz vor schwerwiegenden negativen Folgen des Klimawandels auf Leben, Gesund-heit und Wohlbefinden enthält. Die Schweiz habe zwar einige Klimaschutzmaßnahmen ergriffen, diese seien jedoch unzureichend. Insbesondere müssten Emissionsgrenzen festgelegt werden, angemessene Gesetze verabschiedet und deren Umsetzung auch überwacht werden. Der EGMR hob auch hervor, dass die Information und Beteiligung der Öffentlichkeit in Bezug auf Klimaschutzgesetze notwendig seien, um deren Rechte zu wahren. Damit spricht der Gerichtshof alle drei Säulen der Aarhus-Konvention, nämlich Information, Beteiligung und Rechtsschutz an und betont deren Wichtigkeit für die Wahrung der Menschenrechte. Der Gerichtshof ging auch auf Emissionen ein, die durch Exporte der Schweiz ins Ausland entstehen und hielt fest, dass Kläger:innen eine Verlet-zung ihrer Rechte aufgrund dieser transnationalen Emissionen behaupten könnten. Dies ist jedoch nur möglich, wenn es sich um Emissionen des Wohnsitzstaates ins Ausland handelt und nicht, wenn Emissionen anderer Staaten Personen betreffen.
Art 6 der EMRK, das Recht auf ein faires Verfahren sei in Bezug auf den Verein KlimaSeniorinnen dadurch verletzt worden, dass die nationalen Gerichte sich nicht ernsthaft genug mit der Klage des Vereins auseinandergesetzt hätten.
Richtungsvorgabe für zukünftige Klimaklagen
Besonders macht dieses Urteil, dass viel Raum für ausführliche Begründungen und die Beantwortung grundsätzlicher Fragen in Bezug auf den Klimawandel und Menschenrechte eingeräumt wird. Bei-spielsweise geht der EGMR dabei auf Kausalitätsprobleme, Anteile der Verantwortlichkeiten der einzelnen Staaten und die Auswirkung des Klimawandels auf Menschenrechte generell ein. Der Gerichtshof hat offenbar erkannt, dass Klimaklagen ein wichtiges Thema sind, das nicht einfach kurz abgehandelt werden kann. Mit den klar aufgestellten Kriterien im Urteil KlimaSeniorinnen gibt der EGMR eine Anlei-tung dafür, wie vor allem Umwelt- und Klimaschutzorganisationen zukünftig Klima-klagen einbringen können. Der EGMR hält in seinem Urteil aber auch fest, dass Gerichtsurteile nicht ersetzen könnten, was die Aufgabe der Gesetzgeber und Verwaltung in Sachen Klimawandelbekämpfung sei.
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